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 Agnostizismus

Ich kann die Nichtexistenz Gottes
nicht beweisen, aber es spricht sehr wenig
dafür und sehr viel dagegen.
Seine Existenz ist nicht vollständig unklar,
sondern extrem unwahrscheinlich.
Da aber die Antwort auf die Gottfrage
gesellschaftliche Konsequenzen hat,
sollte ich mich diesbezüglich entscheiden
und kann mir den Luxus, die Entscheidung
offen zu lassen, nicht leisten.

Selbstverständlich kann ich weder die Existenz Gottes noch seine Nichtexistenz beweisen.
Aber was folgt daraus? Nein daraus folgt nicht, dass beide Möglichkeiten gleichberechtigt sind.

Wenn ich zu Hause bin, könnte ein Flugzeug auf mein Haus stürzen und mich töten.
Soll ich lieber vorsichtshalber das Haus verlassen?
Verlasse ich das Haus, könnte mich aber ein Terrorist niedermetzeln. Was soll ich nur tun?
Mit meinen beschränkten Informationen kann ich keine der Annahmen vorher prüfen ohne
gleichzeitig mein Leben zu riskieren.
Das Beispiel scheint konstruiert zu sein, findet aber in weniger dramatischer Form bei jeder
einzelnen Person jeden Tag tausendfach statt und wird auch fast immer erfolgreich gelöst.

Es kann also nicht nur um die Frage gehen, ob ich etwas beweisen kann, sondern auch mit
welchen Wahrscheinlichkeiten ich rechnen muss. Und obwohl ich keinen Gegenbeweis habe,
dass ein Flugzeug in mein Haus stürzt oder mich ein Terrorist tötet, kann ich doch beide
Gedanken getrost als falsch oder zu 99,9999% falsch einstufen und vollkommen beruhigt sein.

Es gibt unvorstellbar viele mögliche Aussagen. "Es gibt einen Gott" ist nur eine davon.
Einen großen Teil dieser Aussagen kann man nicht überprüfen.
Heißt das dann, dass ich jede noch so abwegige Aussage kritiklos stehen lassen muss,
nur weil ein Gegenbeweis unmöglich ist?
Nein, es heißt, wir können auch unbeweisbaren Aussagen eine Wahrheitswahrscheinlichkeit
zuweisen. Ich nenne mal diese Form des Denkens "statistisches Denken". Aussagen sind also nicht
"wahr" oder "unwahr", sondern einfach nur in einem gewissen Maß wahrscheinlich.
Wahrheiten sind dann 100% wahrscheinlich und Unwahrheiten sind eben 0% wahrscheinlich.
Und der Einfachheit halber nennen wir Aussagen mit extrem niedriger oder hoher
Wahrscheinlichkeit auch unwahr oder wahr.

Ich kann nicht beweisen, dass ich nicht in 5 Sekunden einen Herzinfarkt erleide, aber ich kann
mir sicher sein, dass es nicht geschehen wird.

Im täglichen Leben benutzen wir dieses statistische Denken ständig und in den meisten Fällen
auch mit gutem Erfolg, weil hier ein "Agnostizismus" fatale Folgen hätte.
Können Sie vorher beweisen, dass die Bremsen Ihres Autos in einer halben Stunde,
wenn sie auf der Autobahn sind, noch tun?
Nein, aber sie können sich sicher sein. Da es um Ihr Leben geht, müssen und werden Sie zu
dieser Frage eine Position beziehen, denn sonst sterben Sie. Sie vertrauen auf Ihre Bremsen.
"Agnostizismus", beides ist möglich, können sie sich nicht erlauben.

Aber in einigen Fällen, wie zum Beispiel bei der Gottfrage, fühlen wir uns sicher,
gehen nicht wirklich von Konsequenzen aus und gönnen uns den Luxus keine Position beziehen
zu wollen. Dass aber die persönliche Position zu Gott politische Relevanz,
und somit Einfluß auf das Leben der restlichen Bevölkerung hat, wird dabei nicht beachtet.

Ich kann die Nichtexistenz Gottes nicht beweisen, aber es spricht sehr wenig dafür
und sehr viel dagegen. Seine Existenz ist nicht vollständig unklar,
sondern extrem unwahrscheinlich. Da aber die Antwort auf die Gottfrage gesellschaftliche
Konsequenzen hat, sollte ich mich diesbezüglich entscheiden und kann mir den Luxus
die Entscheidung offen zu lassen nicht leisten.

Das ist im Grunde wie bei einer Gerichtsverhandlung. Die Frage nach der Schuld hat Auswirkungen
auf das Leben des Angeklagten, deshalb muss der Richter, auch bei schlechter Beweislage,
ein Urteil fällen und sich dabei letzlich für das "kleinere Übel" entscheiden.
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"Ich denke, also bin ich kein Christ" [Karlheinz Deschner]